ELF

Bis Halloween sind es nur noch ein paar Tage, und ich bin immer noch mit den allerletzten Arbeiten an meinem Kostüm beschäftigt. Haven geht als Vampir (ach was!), Miles als Pirat - aber erst, nachdem ich es ihm ausreden konnte, sich als Madonna während ihrer Kegelbrust-Phase zu verkleiden -, und als was ich gehe, verrate ich nicht. Aber nur, weil meine einstmals tolle Idee sich zu einem überambitionierten Projekt entwickelt hat, an das ich immer weniger glaube.

Obwohl ich zugeben muss, wie überrascht ich war, dass Sabine überhaupt eine Party schmeißen wollte. Zum Teil, weil sie sich eigentlich nie wirklich für solche Sachen zu interessieren scheint, hauptsächlich aber, weil ich dachte, wir könnten von Glück sagen, wenn wir beide zusammen auf fünf Gäste kämen, maximal. Doch allem Anschein nach ist Sabine sehr viel beliebter, als mir klar war, denn sie hatte sehr schnell zweieinhalb Spalten voll, während meine Gästeliste jämmerlich kurz war - sie bestand aus meinen beiden einzigen Freunden und ihren möglichen Begleitern.

Während also Sabine einen Caterer bestellte, der sich um Essen und Getränke kümmern sollte, übertrug ich Miles den Aufgabenbereich Audio und Visual (das bedeutet, er wird seinen iPod an die Stereoanlage andocken und ein paar Gruselfilme ausleihen) und bat Haven, die Törtchen zu besorgen. Womit Riley und ich so ziemlich die einzigen Mitglieder des Dekorations-Komitees waren. Und da Sabine mir einen Katalog und eine Kreditkarte überreicht hat, und zwar mit der expliziten Anweisung, »nicht zu knausern«, haben wir die letzten beiden Nachmittage damit zugebracht, das Haus in ein unheimliches, gruseliges Spukschloss zu verwandeln. Und es hat solchen Spaß gemacht, hat mich daran erinnert, wie wir immer unser altes Haus in Eugene für Ostern, Thanksgiving und Weihnachten geschmückt haben. Außerdem hat diese Beschäftigung geholfen, uns vom Streiten abzuhalten.

»Du solltest als Meerjungfrau gehen«, meint Riley. »Oder als eins von diesen Kids aus den Reality-Shows.«

»O Mann, sag bloß nicht, du guckst dir diesen Mist immer noch an?«, erwidere ich und balanciere gefährlich auf der vorletzten Leitersprosse, um noch ein künstliches Spinnennetz aufzuhängen.

»Ich kann nichts dafür, der TiVo macht, was er will.«

»Du hast einen Festplattenrekorder?« Gierig auf alles an Informationen, was ich bekommen kann, drehe ich mich um; sie ist sonst immer so geizig mit Details über das Jenseits.

Doch sie lacht nur. »Ich schwör's, du bist so was von gutgläubig - was du alles glaubst!« Sie verdreht die Augen, während sie in einen Karton greift und eine Lichterkette hervorholt. »Wollen wir tauschen?«, fragt sie und wickelt die Leitung auf. »Ich meine, es ist einfach lächerlich, dass du darauf bestehst, die Leiter hoch- und wieder runterzuklettern. Immerhin kann ich frei schweben.«

Stirnrunzelnd schüttele ich den Kopf. Obwohl es vielleicht einfacher wäre, ziehe ich es immer noch vor, so zu tun, als wäre mein Leben normal.

»Also, als was gehst du?«

»Vergiss es«, wehre ich ab und klebe das Netz in die Zimmerecke, ehe ich die Leiter hinunterklettere, um mein Werk zu begutachten. »Wenn du Geheimnisse haben darfst, dann kann ich auch welche haben.«

»Das ist nicht fair.« Sie verschränkt die Arme und schmollt auf die Tour, die bei Dad immer funktioniert hat, aber nie bei Mom.

»Reg dich ab, auf der Party wirst du's ja sehen«, sage ich, hebe ein fluoreszierendes Skelett hoch und entwirre seine Gliedmaßen.

»Du meinst, ich darf auch kommen?«, fragt sie mit kieksender Stimme, und ihre Augen leuchten vor Aufregung.

»Als ob ich dich davon abhalten könnte«, lache ich und stelle Mr. Skelett neben dem Eingang auf, damit er die Gäste begrüßen kann.

»Kommt dein Freund auch?«

Ich seufze und verdrehe die Augen. »Ich habe keinen Freund, das weißt du doch ganz genau.« Dieses Spiel langweilt mich schon, noch ehe es angefangen hat.

»Also bitte. Ich bin doch kein Volltrottel.« Sie setzt eine finstere Miene auf. »Ich hab die große Sweatshirt-Debatte nicht etwa vergessen. Außerdem kann ich's gar nicht erwarten, ihn kennen zu lernen, oder ich sollte wohl lieber sagen, ihn zu sehen, du wirst mich ihm ja doch nie vorstellen. Was ja eigentlich ziemlich unhöflich ist, wenn man's recht bedenkt. Ich meine, nur weil er mich nicht sehen kann, heißt das doch noch lange nicht -«

»Herrgott noch mal, er ist nicht eingeladen, okay?«, brülle ich los und merke viel zu spät, dass ich ihr in die Falle getappt bin.

»Ha!« Mit weit aufgerissenen Augen und hochgezogenen Brauen sieht sie mich an, ihre Lippen verziehen sich entzückt. »Ich hab's ja gewusst!« Lachend wirft sie die Lichterkette weg und hüpft vor Begeisterung, wirbelt hüftschwingend herum und zeigt mit dem Finger auf mich. »Ich hab's gewusst, ich hab's gewusst, ich hab's gewusst!«, singt sie und boxt in die Luft. »Ha! Ich hab's gewusst!« Wieder wirbelt sie herum.

Seufzend schließe ich die Augen und stauche mich innerlich selbst dafür zusammen, dass ich in ihre schlecht getarnte Falle gestolpert bin. »Du weißt gar nichts.« Ich funkele sie wütend an. »Er war nie mein Freund, okay? Er - er war einfach nur ein Neuer, den ich am Anfang irgendwie süß fand, aber dann, als ich kapiert habe, was für ein totaler Spieler er ist, na ja, sagen wir einfach, ich bin drüber weg. Ich finde ihn sogar überhaupt nicht mehr süß. Im Ernst, das Ganze hat ungefähr zehn Sekunden gedauert, aber nur, weil ich es nicht besser wusste. Und ich bin auch nicht die Einzige, die auf ihn reingefallen ist. Miles und Haven haben sich fast um ihn geprügelt. Hör also mit dem Rumgefuchtel und dem Hüftwackeln auf, und mach dich wieder an die Arbeit, okay?«

Bei den letzten Worten wird mir klar, dass ich viel zu defensiv rübergekommen bin, als dass man mir jemals glauben würde. Aber jetzt, da es heraus ist, kann ich es nicht mehr zurücknehmen, also bemühe ich mich einfach, sie zu ignorieren, während sie im Zimmer herumschwebt und singt: »Jep! Ich hab's ja so was von gewusst!«

 

Am Abend von Halloween sieht das Haus toll aus. Riley und ich haben Spinnennetze in alle Fenster und Ecken geklebt und riesige Schwarze Witwen mitten hineingesetzt. Wir haben schwarze Gummifledermäuse an die Decken gehängt, überall blutige abgetrennte Körperteile (aus Kunststoff!) verstreut und eine Kristallkugel aufgestellt, gleich neben einem Raben, den man an eine Steckdose anschließen kann, und dessen Augen rollen und aufleuchten, wenn er sagt: »Du wirst es bereuen! Kroaak! Du wirst es bereuen!« Wir haben Zombies in »blut«getränkte Fetzen gekleidet und sie an Stellen platziert, wo man sie am wenigsten erwarten würde. Wir haben Kessel mit dampfendem Zaubertrank (in Wirklichkeit nur Trockeneis und Wasser) in die Eingangshalle gestellt und so ziemlich überall Skelette, Mumien, schwarze Katzen und Ratten (also, künstliche, aber gruselig sind sie trotzdem), Wasserspeier, Särge, schwarze Kerzen und Totenschädel verteilt. Sogar den Garten haben wir dekoriert, mit Kürbislaternen, im Wasser treibenden Pool-Lichtern und blinkenden Lichterketten. Und, ach ja, im Vorgarten haben wir einen lebensgroßen Sensenmann aufgestellt.

»Wie sehe ich aus?«, will Riley wissen und schaut an ihrer mit zwei lila Muschelschalen bedeckten Brust und dem roten Haar hinunter, während sie mit ihrem funkelnden, metallisch-grünen Fischschwanz herumwedelt.

»Wie deine Lieblingsfigur von Disney«, antworte ich und pudere mir das Gesicht, bis es sehr blass ist, während ich überlege, wie ich sie loswerden soll, damit ich mich umziehen und sie vielleicht zur Abwechslung mal überraschen kann.

»Das fasse ich mal als Kompliment auf.« Sie lächelt.

»Solltest du auch.« Ich bürste mir das Haar zurück und stecke es straff am Kopf fest, damit die große, hoch aufgetürmte blonde Perücke darüber passt, die ich tragen werde.

»Und als was gehst du jetzt?« Sie betrachtet mich. »Ich meine, sagst du's mir jetzt endlich? Weil, ich sterbe vor Neugier!« Riley bekommt einen Lachanfall und presst beide Hände auf den Bauch; sie wiegt sich vor und zurück und fällt fast vom Bett. Sie macht gern dumme Sprüche über den Tod. Findet das zum Brüllen. Aber ich schrecke dabei normalerweise nur zusammen.

Ich beachte den Witz nicht und sage: »Tust du mir einen Gefallen? Schleich dich mal runter in den Flur, und schau dir Sabines Kostüm an. Und sag mir Bescheid, wenn sie beschließt, diese riesige Gumminase mit der haarigen Warze an der Spitze aufzusetzen. Ich hab's ihr gesagt, es ist wirklich ein tolles Hexenkostüm, aber die Nase muss sie weglassen. Auf so was fahren Männer normalerweise nicht ab.«

»Sie hat einen Freund?«, fragt Riley, eindeutig verblüfft.

»Nicht wenn sie die Nase aufsetzt«, antworte ich und sehe zu, wie sie vom Bett rutscht und mit schleifendem Meerjungfrauenschwanz durchs Zimmer geht. »Aber mach keinen Lärm oder irgendetwas, was sie erschrecken könnte, okay?«, setze ich noch hinzu und schaudere, als sie durch die Zimmertür schlüpft, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu öffnen. Ich meine, nur weil ich das schon x-mal gesehen habe, heißt das noch lange nicht, dass ich mich daran gewöhnt hätte.

Rasch trete ich in den begehbaren Kleiderschrank und öffne den Reißverschluss des Kleidersacks, den ich ganz hinten im Schrank versteckt habe. Dann hole ich das wunderschöne schwarze Kleid mit dem tiefen, quadratischen Ausschnitt und dem superengen Oberteil hervor, das nach unten hin zu glänzenden, lockeren Falten aufspringt - genau wie jenes, das Marie Antoinette auf dem Maskenball anhatte (nun ja, so, wie sie von Kirsten Dunst in dem Film dargestellt wurde). Und nachdem ich mich mit dem Reißverschluss am Rücken abgemüht habe, setze ich meine hohe, platinblonde Perücke auf (ich bin zwar auch blond, aber so hoch könnte ich mein Haar nie im Leben auftürmen), trage roten Lippenstift auf und befestige eine durchscheinende schwarze Maske über den Augen und lange Strassgehänge an meinen Ohren. Danach stelle ich mich vor den Spiegel, drehe mich und wirbele herum und lächele, während mein glänzendes Kleid sich um mich bauscht. Ich bin hin und weg, wie schön es geworden ist.

Kaum ist Riley wieder im Zimmer erschienen, verkündet sie kopfschüttelnd: »Alles klar - endlich! Ich meine, erst hat sie die Nase aufgesetzt, dann hat sie sie wieder abgenommen, dann hat sie sie noch mal aufgesetzt und sich so gedreht, dass sie ihr Profil sehen konnte, nur um sie dann wieder abzunehmen. Ich schwör's dir, ich musste mich echt zusammenreißen, damit ich ihr das Ding nicht einfach aus dem Gesicht rupfe und es zum Fenster rausschmeiße.«

Ich erstarre, halte den Atem an und hoffe inständig, dass sie nichts dergleichen getan hat, denn bei Riley weiß man nie.

Sie lässt sich auf den Schreibtischstuhl fallen und schiebt sich mit der Spitze ihres grünen Glitzerschwanzes im Kreis herum. »Keine Angst«, sagt sie. »Als ich die Nase zuletzt gesehen habe, hatte sie sie im Bad neben dem Waschbecken liegen gelassen. Und dann hat irgend so ein Typ angerufen und wollte eine Wegbeschreibung, und sie hat die ganze Zeit davon geschwärmt, wie toll du das Haus dekoriert hättest, und dass sie es kaum fassen könnte, dass du das alles ganz allein bla-bla-bla.« Mit gefurchter Stirn schüttelt sie den Kopf. »Das findest du bestimmt klasse, wie? Das ganze Lob für unsere Arbeit einzuheimsen.« Sie hört auf zu kreiseln und betrachtet mich prüfend und ausführlich. »Also Marie Antoinette«, bemerkt sie. »Wäre ich nie drauf gekommen. Ich meine, du machst dir doch gar nicht so viel aus Kuchen.«

Ich rolle die Augen. »Nur zu deiner Information, das mit dem Kuchen hat sie nie gesagt. Das war ein mieses Revolverblatt-Gerücht, also glaub das bloß nicht«, belehre ich sie und kann nicht aufhören, in den Spiegel zu schauen, während ich erneut mein Make-up überprüfe, meine Perücke betaste und hoffe, dass alles dort bleibt, wo es hingehört. Doch als ich Rileys Spiegelbild sehe, lässt irgendetwas mich innehalten und auf sie zutreten. »Hey, alles klar?«

Sie schließt die Augen und beißt sich auf die Lippen. Dann schüttelt sie den Kopf und sagt: »O Mann, schau uns doch mal an. Du hast dich als tragische Teenie-Königin verkleidet, und ich würde alles tun, nur um ein Teenie zu sein.«

Unwillkürlich strecke ich beinahe die Arme nach ihr aus, doch meine Hände bleiben unbeholfen neben meinem Körper hängen. Ich bin wohl so sehr daran gewöhnt, sie um mich zu haben, dass ich manchmal vergesse, dass sie nicht wirklich da ist, dass sie nicht mehr Teil dieser Welt ist und dass sie niemals älter werden, niemals die Chance haben wird, dreizehn zu sein. Und dann fällt mir wieder ein, dass das ja alles meine Schuld ist, und ich fühle mich noch viel, viel schlechter. »Riley, ich -«

Doch sie schüttelt nur den Kopf und wedelt mit ihrem Schwanz herum. »Mach dir keine Sorgen.« Sie lächelt und schwebt von dem Stuhl in die Höhe. »Wird Zeit, die Gäste zu begrüßen.«

 

Haven ist mit Evangeline gekommen, ihrer beziehungsproblembelasteten Spenderfreundin, die, Riesenüberraschung, ebenfalls als Vampir verkleidet ist. Und Miles hat Eric mitgebracht, einen Typen, den er vom Schauspielunterricht kennt und der unter der Zorromaske und dem schwarzen Satinumhang vielleicht sogar ganz niedlich sein könnte.

»Ich fasse es nicht, dass du Damen nicht eingeladen hast«, sagt Haven kopfschüttelnd und überspringt das Hallo-Sagen einfach. Sie ist schon die ganze Woche lang sauer auf mich, seit sie erfahren hat, dass er nicht auf der Gästeliste steht.

Ich atme tief durch; ich habe es satt, ständig das Offen-sichtliche zu rechtfertigen, schon wieder darauf hinzuweisen, dass er uns eindeutig abgehakt hat und nicht nur an Stacias Lunchtisch zu einer Dauereinrichtung wird, sondern auch an ihrem Platz im Klassenzimmer. Dass er aus allen möglichen Verstecken Rosenknospen hervorzaubert und dass sein Kunstprojekt Frau mit gelbem Haar ihr allmählich verdächtig ähnlich sieht.

Ich meine, Verzeihung, dass ich nicht länger auf die Tatsache eingehen möchte, dass er trotz der roten Tulpen, dem geheimnisvollen Zettel und dem vertraulichen Blick, den wir damals gewechselt haben, seit fast zwei Wochen nicht mehr mit mir gesprochen hat.

»Er wäre doch sowieso nicht gekommen«, sage ich endlich und hoffe, dass sie nicht merkt, wie meine Stimme verräterisch kippt. »Bestimmt ist er irgendwo mit Stacia unterwegs oder mit dieser Rothaarigen oder -«Ich weigere mich weiterzusprechen.

»Moment mal - Rothaarige? Da gibt's auch noch eine Rothaarige?« Mit zusammengekniffenen Augen schaut sie mich an.

Ich zucke mit den Schultern. Denn die Wahrheit ist, er könnte mit so ziemlich jeder unterwegs sein. Alles, was ich weiß, ist, dass er nicht hier bei mir ist.

»Du müsstest ihn mal sehen«, wendet Haven sich an Evangeline. »Er ist super - sieht so toll aus wie ein Filmstar ... so sexy wie ein Rockstar ... Er hat sogar Zaubertricks drauf.« Sie kichert.

Evangeline zieht die Augenbrauen hoch. »Hört sich an, als wäre er selber ein Zaubertrick. So vollkommen ist doch niemand.«

»Damen schon. Schade, dass du es nicht selbst sehen kannst.« Wieder schaut Haven mich stirnrunzelnd an, und ihre Finger spielen an dem schwarzen Samtband herum, das sie um den Hals trägt. »Aber wenn er dir zufällig über den Weg läuft, vergiss nicht, er gehört mir. Ich habe ihn mir schon reserviert, bevor ich dich kennen gelernt habe.«

Ich betrachte Evangeline, sehe ihre düstere, trübe Aura, ihre Netzstrümpfe, die winzigen schwarzen Jungenshorts und ihr Netz-T-Shirt und weiß, dass sie nicht vorhat, ein derartiges Versprechen zu halten.

»Weißt du, ich könnte dir ein paar Reißzähne leihen, und ein bisschen Kunstblut für deinen Hals, dann könntest du auch ein Vampir sein.« Haven sieht mich an, und ihre Gedanken schnellen vor und zurück. Sie will meine Freundin sein und ist trotzdem davon überzeugt, dass ich ihre Feindin bin.

Doch ich schüttele nur den Kopf, lotse sie auf die andere Seite des Zimmers und hoffe, dass sie bald von etwas anderem anfängt und Damen vergisst.

 

Sabine unterhält sich mit ihren Freunden, Haven und Evangeline peppen ihre Getränke mit etwas Stärkerem auf, Miles und Eric tanzen, während Riley mit der Quaste an der Schnur von Erics Peitsche herumspielt, sie auf und nieder schwingen lässt, vor und zurück, und sich dann umsieht, ob es jemand bemerkt. Gerade als ich ihr das Zeichen geben will, das Zeichen, dass sie damit aufhören soll, wenn sie bleiben möchte, klingelt es an der Tür, und wir rennen um die Wette hin.

Obwohl ich als Erste da bin, vergesse ich meine Schadenfreude über den Sieg, als ich die Tür öffne, denn dort steht Damen. Blumen in einer Hand, einen Hut mit Goldborte in der anderen, das Haar tief am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine üblichen coolen schwarzen Klamotten hat er gegen ein weißes Rüschenhemd, einen weißen Rock mit Goldknöpfen und Hosen eingetauscht, die man nur als Kniebundhosen bezeichnen kann. Außerdem trägt er spitze schwarze Schuhe. Und gerade als ich denke, dass Miles total neidisch auf dieses Kostüm sein wird, begreife ich, als was er sich verkleidet hat, und mein Herz setzt zwei Schläge lang aus.

»Graf Fersen«, stammele ich und bringe die Worte kaum heraus.

»Marie.« Er lächelt und macht eine tiefe, galante Verbeugung.

»Aber ... das war ein Geheimnis ... und du warst doch gar nicht eingeladen«, flüstere ich und spähe an seiner Schulter vorbei, halte Ausschau nach Stada, der Rothaarigen, nach ir-gendjemandem, weil ich genau weiß, dass er auf keinen Fall meinetwegen hier sein kann.

Doch er lächelt nur und überreicht mir die Blumen. »Dann muss das ein glücklicher Zufall sein.«

Ich schlucke heftig, mache auf dem Absatz kehrt und führe ihn durch die Eingangshalle, vorbei am Wohn- und am Esszimmer und ins Fernsehzimmer. Mein Herz schlägt so laut und so schnell, dass es mir glatt aus der Brust springen könnte. Und ich frage mich, wie das passieren konnte, suche nach irgendeiner logischen Erklärung dafür, dass Damen, als meine perfekte zweite Hälfte kostümiert, auf meiner Party auftaucht.

»O mein Gott, Damen ist da!«, quietscht Haven und winkt mit den Armen. Ihr ganzes Gesicht strahlt - nun ja, soweit ein dick gepudertes, von Reißzähnen geziertes, bluttriefendes Vampirgesicht eben strahlen kann. Doch sobald sie sein Kostüm sieht und ihr klar wird, dass er als Graf Fersen gekommen ist, der nicht ganz so heimliche Geliebte von Marie Antoinette, verdunkelt sich ihre Miene, und ihr Blick richtet sich anklagend auf mich.

»Also, wann habt ihr beide das verabredet?«, will sie wissen und kommt auf uns zu. Sie versucht, locker und neutral zu klingen, allerdings mehr Damen als mir zuliebe.

»Haben wir doch gar nicht«, wehre ich ab und hoffe, dass sie es glaubt. Dennoch weiß ich, dass sie es nicht tun wird. Ich meine, das Ganze ist ein so bizarrer Zufall, dass ich allmählich selbst daran zweifle und mich frage, ob es mir irgendwie rausgerutscht ist, obwohl ich weiß, dass es nicht so ist.

»Ein totaler Glücksfall«, sagt Damen und legt mir den Arm um die Taille. Und obwohl er ihn nur einen Augenblick lang dort liegen lässt, ist das trotzdem lange genug, dass mein ganzer Körper kribbelt.

»Du musst Damen sein«, sagt Evangeline und schiebt sich neben ihn; ihre Finger zupfen an den Rüschen seines Hemdes. »Ich dachte, Haven übertreibt bestimmt, aber ganz offensichtlich stimmt das nicht.« Sie lacht. »Als was hast du dich verkleidet?«

»Als Graf Fersen«, sagt Haven. Ihre Stimme ist hart und spröde, und ihre schmalen Augen starren in meine.

»Von mir aus.« Evangeline grabscht nach seinem Hut und setzt ihn sich auf den Kopf. Verführerisch lächelt sie unter der Krempe hervor, ehe sie seine Hand ergreift und ihn davonführt.

Sobald die beiden weg sind, dreht Haven sich zu mir um und sagt: »Ich glaub's einfach nicht, was du hier abziehst!« Ihr Gesicht ist zornig, die Hände hat sie zu Fäusten geballt, aber das ist nichts, verglichen mit den grauenhaften Gedanken, die durch ihren Kopf wirbeln. »Du weißt doch, wie toll ich ihn finde. Ich habe dir alles erzählt. Ich habe dir vertraut.«

»Haven, ich schwöre es, das war nicht geplant. Es ist einfach nur ein völlig abgedrehter Zufall. Ich weiß nicht mal, was er hier zu suchen hat. Du weißt genau, dass ich ihn nicht eingeladen habe«, beteuere ich; ich möchte sie überzeugen und weiß doch, dass es sinnlos ist und ihr Entschluss bereits feststeht. »Und ich weiß ja nicht, ob du es gemerkt hast, aber deine liebe Freundin Evangeline geht ihm da drüben gerade praktisch an die Wäsche.«

Haven schaut kurz zur anderen Seite des Zimmers hinüber, dann sieht sie wieder mich an. »Das macht sie bei jedem, sie ist so gut wie keine Bedrohung. Im Gegensatz zu dir.«

Ich hole tief Luft, ringe um Geduld und versuche, nicht zu lachen, weil Riley neben ihr steht und jedes Wort nachäfft, jede Bewegung nachahmt und sich auf eine Art und Weise über sie lustig macht, die definitiv komisch, wenngleich nicht im Mindesten freundlich ist. »Hör zu«, sage ich schließlich. »Ich mache mir nichts aus ihm. Ich meine, wie kann ich dich davon überzeugen? Sag's mir, und ich tu's!«

Sie schüttelt den Kopf und schaut weg; ihre Schultern sinken herab, ihre Gedanken verfinstern sich, und jetzt richtet sie ihren ganzen Zorn gegen sich selbst. »Lass es.« Sie seufzt und blinzelt Tränen weg. »Sag einfach gar nichts. Wenn er auf dich steht, dann steht er eben auf dich, und ich kann nichts dagegen machen. Ich meine, es ist ja nicht deine Schuld, dass du klug und hübsch bist und dass die Jungen dich immer lieber mögen werden als mich. Besonders wenn sie dich erst ohne deine Kapuze sehen.« Sie versucht zu lachen, schafft es jedoch nicht ganz.

»Du machst aus nichts und wieder nichts eine Riesensache«, erwidere ich und hoffe, ich kann sie überzeugen, hoffe, ich kann mich selbst überzeugen. »Das Einzige, was Damen und ich gemeinsam haben, ist unser Geschmack in Sachen Filme und in Sachen Kostüme. Damit hat sich's, ich schwör's.« Und als ich lächele, hoffe ich, dass es echter rüberkommt, als es sich anfühlt.

Sie schaut zu Evangeline hinüber, die sich Zorros Peitsche gegriffen hat und zeigt, wie man richtig damit umgeht. Dann wendet sie sich wieder an mich. »Tu mir nur einen Gefallen.«

Ich nicke und bin bereit, so ziemlich alles zu tun, um dem ein Ende zu machen.

»Hör auf zu lügen. Darin bist du echt obermies.«

Ich sehe ihr nach, als sie davongeht, dann drehe ich mich zu Riley um, die herumhüpft und schreit: »O Mann, das ist auf jeden Fall die beste Party, die du je gegeben hast! Drama! Intrigen! Eifersucht! Fast eine Prügelei unter Mädchen! Ich bin ja so froh, dass ich das nicht verpasst habe!«

Ich will gerade Psst machen, als mir wieder einfällt, dass ich die Einzige bin, die sie wirklich hören kann, und dass es vielleicht ein wenig seltsam aussehen würde, wenn ich das täte. Als es abermals an der Tür klingelt, ist sie diesmal als Erste dort, trotz des Fischschwanzes, der hinter ihr herschlappt.

»Ach herrje«, sagt die Frau, die auf der Veranda steht, und ihr Blick huscht zwischen Riley und mir hin und her.

»Kann ich Ihnen helfen?«, erkundige ich mich und bemerke, dass sie nicht verkleidet ist, es sei denn, legerer kalifornischer Freizeitlook zählt als Kostüm.

Sie schaut mich an, und der Blick ihrer braunen Augen begegnet dem meinen, als sie antwortet: »Tut mir leid, der Verkehr war echt zum K-, na ja, du weißt schon.« Sie nickt Riley zu, als könne sie sie tatsächlich sehen.

 

»Sind Sie eine Freundin von Sabine?«, frage ich und denke, dass es vielleicht eine Art nervöser Zuckung ist, die ihre Augen immer wieder dort hinhuschen lässt, wo Riley steht, denn obwohl sie eine hübsche violette Aura hat, kann ich aus irgendeinem Grund ihre Gedanken nicht lesen.

»Ich bin Ava. Sabine hat mich engagiert.«

»Gehören Sie zu den Caterern?«, erkundige ich mich und frage mich, warum sie anstelle von einem weißen Hemd und schwarzen Hosen, wie sie der Rest des Teams anhat, ein schwarzes, schulterfreies Top, enge Jeans und Ballerinas trägt.

Doch sie lacht nur und winkt Riley zu, die sich hinter den Falten meines Kleides versteckt, wie sie es früher immer bei Mom gemacht hat, wenn sie schüchtern war.

»Ich bin die Hellseherin«, sagt sie, streicht sich das lange, kastanienbraune Haar aus dem Gesicht und kniet neben Riley nieder. »Und wie ich sehe, hast du eine kleine Freundin dabei.«